Dieser Artikel soll persönlich erlebte Zurücksetzungen nicht bagatellisieren. Es ist eine Einführung zum nicht wegdiskutierbaren Kern der Sache.
Wie sieht es denn eigentlich aus, wenn eine Gruppe von Menschen in der Öffentlichkeit für ihre Belange wirbt? Es müssen nicht Menschen mit Behinderung gemeint sein, es können Frauen sein oder auch ganz einfach Erwerbstätige, die Gerechtigkeit einfordern.
Es liegt auf der Hand, dass es im Grunde genommen um Umverteilung geht. Denn mit Worten alleine kommt man nicht weit. So kommen gleich auch Fragen hinterher wie: Wer soll hier nachgeben? Wer soll die Forderungen bezahlen? Kann das auch ohne Geldmittel gelöst werden?
Und dabei brummt die Wirtschaft. Wenn auch die statistischen Zahlen bekanntlich schöngerechnet wurden, bestätigt die aktuelle Rentenerhöhung das freundliche Gesicht der derzeitigen Situation für die Meisten. Wenn man von den Herausgerechneten absieht, wird da etwa auf hohem Niveau gejammert? Was hat sich denn im Vergleich zu früher verschlechtert? Wir alle, auch die Einkommensschwachen – wenn auch nicht unmittelbar – profitieren doch vom technischen Fortschritt.
Nunja, man sieht, hört und liest schon von Mängeln, wenn man genauer sucht. Doch das hat sich niemand extra ausgedacht. So ein bisschen Flexibilität muß man ja der Verwaltung auch zugestehen, die doch auch über Haushaltsgesetze dazu angehalten wird, im Voraus zu planen und dies findet ja auch in einem demokratischen Prozess statt.
Inkonsistente Regeln
Sucht man doch weiter nach möglichen Gründen, so kommt man irgendwann darauf, dass es im Dschungel an Regeln und Gesetzen mitunter groteske Konstellationen geben kann, die einander widersprechen.
Zum Beispiel ist der Hauptkritikpunkt des Blindenverbandes der, dass die Blindenhilfe nach wie vor nur dann gewährt werden soll, wenn ein blinder Mensch die Voraussetzungen für Sozialhilfe erfüllt. Bei der Eingliederungshilfe dagegen sollen die strengen Regeln für die Anrechnung von Einkommen und Vermögen gelockert werden. Auch wenn man hier austritt und dort eintritt, die Blindheit bleibt – die zusätzlichen Belastungen und Bedürfnisse.
Es geht also um einander entgegenstehende Regelungen, die keine Einzelfälle sind wie zum Beispiel der Eintrag „Persönliches Budget – Probleme in der Praxis“ (Link) in der Wikipedia als beispielshaftes Indiz für diese Annahme zeigt.
Die Proteste beziehen sich also zum Teil – objektiv gesehen – auf die Harmonisierung der Regelungen, was ja im Zeitalter der Globalisierung zum Prozess gehört. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass internationale Vermögenssteuerabkommen vorrangig behandelt werden, um die Kassen zu sanieren. Und deshalb ist eine Erinnung von Seiten der „Kleinen“ durchaus angebracht.
Eindruck: Wie es jedem gerade so passt
Verwässert wird dieses Anliegen teilweise durch die Vielfalt an Behinderungsformen und verschiedenen Qualifikationsstufen bis hinauf zu einer blinden Anwältin, bei der die Sparobergrenze von 2500,-€ im Verhältnis zur beruflichen Qualifikation widersinnig ist, Sie wird so – im Vergleich zu ihren Kollegen – zurückgesetzt. Diese Uneinheitlichkeit beim Sozialrecht und der in der Arbeitwelt vorhandenen Situation ist also so ein Punkt, der Menschen mit Behinderung den Einstieg in das Berufsleben erschwert – und das soll nicht sein.
Doch die Vielfalt an Behinderungen führt zu unterschiedlichen Maßstäben. Und wenn man den Belangen einer bestimmten Gruppe gerecht geworden ist, kann dies nicht einfach so ohne Prüfung auf andere Behinderungsformen übertragen werden. Diese Gerechtigkeit kann dann so ausufern, dass für die Sachbearbeiter die gesetzliche Situation vollends unübersichtlich wird. Denn weiß jemand, wieviele Behinderungen es eigentlich gibt und in wieviele Grade sie sich unterteilen lassen? Und sind Menschen mit niedriger Frustrationstoleranz nicht schlimmer dran als die mit höherer Tolerenz? Es ist ein Faß ohne Boden. Wenn die Zeit für die Überarbeitung der Gesetzte falsch bemessen wird, gibt es Mängel – wie auf jeder Baustelle auch. Eine Abnahmeregelung für den Souverän gibt es allerdings nicht.
Überarbeitung statt Neuanfang?
Fügt man einem,…
- durch Regeln eingeschränkten und
- durch äußere Umstände getriebenen System mit geringen Spielräumen weitere Systemzwänge hinzu,
- mit der guten Absicht, Fehlentwicklungen zu korrigieren und die Gesamtrichtung zu verbessern,
… sind die Beharrungskräfte nun einmal sehr groß.
Dieser Protesttag zur Gleichstellung entspricht dem Wunsch nach einer einheitlichen Lösung im Zeitalter der Globalisierung. Und diese Vereinheitlichung erfordert eine behörden- und auch länderübergreifende Abstimmung. Die Soveränität der Länder schreibt jedoch eine Prozedur vor, weswegen Änderungen durch Verwaltungsvorschriften verlangsamt und damit auch teuer werden.
Dazu kommt, dass nach einer ersten Verbesserung weitere Forderungen erhoben und dadurch die Regeln und Rechtssprechung zum Spielball der Interessen werden könnten.
Dieser Eindruck kann vermieden werden, wenn die mitunter vernommene Forderung nach der Neugliederung des Bundesgebietes als Gelegenheit verwendet wird, um gleichzeitig die Rechtsprechung (PS: nicht nur bezüglich der Menschen mit Behinderung) zu harmonisieren.
Dies käme zwar später, dürfte aber Vorbehalte in Sachen „Gesetzwerk nach Gusto und Belieben“ entkräften – wenn wir jetzt hier mal von anderen Lobbygruppen absehen!
Damit die bis heute offenbar gewordenen Widersprüche beseitigt werden, müssen die von Menschen mit Behinderung als unnötig empfundenen Belastungen auch von den Beamten ohne Behinderung gut verstanden werden. Die Kommunikation darüber scheint nicht gerade glücklich zu verlaufen.
Das Studium der derzeit geäußerten Kritiken (1) (2) (3) am geplanten Teilhabegesetz bei Kobinet-Nachrichten lässt vermuten, dass die meisten Probleme auf die Größe der Rückstellungen zurückzuführen sind, die mit den Gesetzesänderungen verbunden sind. Denn eine solche Störrigkeit denkt sich ja niemand aus, der keiner exklusiven Gruppe angehört, oder?
Deshalb richtet sich der Europäische Protesttag nicht nur an die Politik alleine, sondern auch an die Gesellschaft – als Denkanstoß.
Hier ist so einer.
ZITAT „Private Haushalte wendeten im Jahr 2013 für die unbezahlte Arbeit 35% mehr an Zeit auf als für die bezahlte Erwerbsarbeit. Anfang der 1990er-Jahre waren es sogar fast 50 % mehr. “ Quelle Norbert Schwarz und Florian Schwahn: Entwicklung der unbezahlten Arbeit privater Haushalte (pdf). In: Wirtschaft und Statistik, Heft 2/2016
Der Leser mag dies interpretieren und auch Lösungen überlegen.
PS: Der Artikel kann Spuren von Sarkasmus enthalten.
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